Am Dienstagabend haben die Stadt Darmstadt, das Land, die Feuerwehr und der Leiter der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen über die am Wochenenende errichtete Zeltunterkunft für Asylbewerber informiert. Und die Kirche in der Waldkolonie war proppenvoll – bis zur Tür standen die Leute. Das sind meine Eindrücke von der Veranstaltung, gespickt mit Zitaten, die dort gefallen sind (öffentlich und im Zweiergespräch)
Ich bin positiv überrascht, denn ich hatte mit weniger Andrang gerechnet – und befürchtet, dass vielleicht ein paar rechte Deppen rumstehen, um gegen Flüchtlinge zu demonstrieren. Allein das war ein Grund für mich, hinzugehen – um gegebenenfalls Gesicht dagegen zu zeigen. Und Neugier natürlich.
„Warum müssen in unserer Stadt Menschen in Zelten schlafen, wo wir hier zwei leer stehende Kasernen haben?“
Mich hat die Info überrascht: Am Wochenende wurden spontan Zelte für Flüchtlinge auf dem Gelände der Starkenburgkaserne im Westen der Stadt aufgebaut. Oberbürgermeister Jochen Partsch hat mir und allen anderen erklärt: Es handelt sich um eine Außenstelle der hoffnunglos überfüllten Erstaufnahmestelle in Gießen, die eigentlich nicht geplant war. Aber weil eine andere geplante Unterkunft spontan weggefallen ist, mussten am Donnerstag schnell entschieden werden: Kann Darmstadt spontan Flüchtlinge unterbringen? Am Freitagmorgen hieß es: ja. Und am Wochenende sind die ersten Menschen in die Zeltstadt gezogen. Dienstagnachmittag sind schon knapp 60 Leute dort untergekommen. Es sollen bis zu 600 Menschen werden.
„Und wer bezahlt das alles?“
Spätestens im Oktober sollen die Räume der leer stehenden Kaserne dann so hergerichtet werden, dass die Leute nicht mehr in Zelten schlafen müssen. Das ist auch besser so. Denn die Zelte haben keinen Boden. Als es am Wochenende regnete, floss das Wasser durch die Zelte und Helfer organisierten Paletten, damit die Bewohner nicht im Wasser stehen oder ein paar Habseligkeiten auf dem Boden ablegen können. Überhaupt haben die freiwilligen Helfer in den letzten Tagen immens viel geleistet. Sie haben das Lager aufgebaut und sind jetzt dabei, die notwendigsten Dinge anzuschaffen: Klopapier, Windeln, Decken.
„Alles, was hier ist, ist wahrscheinlich immer noch besser als das, was sie in ihrem Heimatländern erlebt haben.“
Die Stadt hat für Interessierte eine Hotline eingerichtet. Und die stand wohl stundenlang nicht still, so viele Leute haben sich gemeldet und wollten helfen.
Die Stadt hat außerdem eine Stelle eingerichtet, wo man Decken, Kleidung, Spielzeug als Spende abgeben kann. Es wird viel getan und geholfen, und so gut wie alle Wortmeldungen bei der Infoveranstaltung – zumindest bis ich nach 90 Minuten gegangen bin, waren interessiert bis wohlwollend.
Trotzdem bleibt der Gedanke: Wie geht es den Menschen in dieser Zeltstadt wirklich? Oder, wie der Mitarbeiter der Stadt es bei dem Infoabend sagte: „Bisher haben wir in Darmstadt unsre Flüchtlinge dezentral untergebracht und man wusste auf der Straße nicht: Ist das ein Student, ein langjähriger Mitbürger oder ein Asylbewerber? Das hat sich jetzt mit dem Lager geändert.“
„Die Menschen brauchen nicht nur ein Bett und etwas zu essen, sondern auch psychologische Betreuung.“
Beim Rausfahren zurück Richtung Innenstadt geht es an dem Kasernengelände vorbei, Zelte sind keine zu sehen, aber der Zaun, auf dem steht: „Militärgelände, Achtung, Schusswaffengebrauch.“
Wer aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea hierherkommt, muss viel Vertrauen in uns und dieses Land haben, schießt es mir durch den Kopf: Erst vorm lebenslangen Militärdienst geflohen, jetzt in der Kaserne nächtigen…
Wir sollten alle dafür sorgen, dass dieses Vertrauen nicht enttäuscht wird. Denn wie wir mit diesen Menschen umgehen, wird ziemlich sicher beeinflussen, was für ein Land Deutschland in zehn, zwanzig Jahren sein wird.
Auf dem ehemaligen EAD-Gelände in der Niersteiner Straße 6 (Gebäude H) in Darmstadt werden Montag bis Freitag zwischen 9 und 18 Uhr Sachspenden für die Flüchtlinge entgegengenommen. Dringend benötigt werden laut Infozettel Kinderspielzeug, Decken, Handtücher, Bettwäsche und Kleidung, auch Herbst- und Winterklamotten – möglichst gewaschen und in Tüten sortiert (mit Größe beschriftet, z.B. bei Babysachen „Gr. 62/68“). Nicht angenommen werden Lebensmittel, Geld und Elektrogeräte.
Ein interessanter und einfühlsamer Beitrag. Die Leser gewinnen auf diese Art einen kleinen Eindruck davon, dass es im Land nicht nur Ablehnung und Hass gg. Flüchtlinge gibt, sondern auch viele Leute, die das zeigen, was diese Menschen gerade am dringendsten brauchen werden: Mitgefühl und unsere Unterstützung.
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Danke für das Lob! Ich freue mich, wenn ich einen kleinen Einblick vermitteln kann. Und vielleicht interessiert dich, dass die Anlaufstelle, bei der man hier in Darmstadt Kleidung und anderes für die Bewohner des Lager abgeben kann, sehr gut besucht ist. Offenbar wollen viele Leute helfen. Viele Grüße
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Erfreuliches Update: Die Annahmestelle für Spenden in der Niersteiner Straße nimmt keine Spenden mehr entgegen, teilt die Stadt heute via Facebook mit und bedankte sich bei den Bürgern für ihre Spendenbereitschaft. Wer wissen will, was doch noch gebraucht wird, erfährt das ebenfalls auf der FB-Seite der Stadt.
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